Im Land der Einarmigen entdecken wir die Langsamkeit

November / Dezember 2022…. Montevideo, Nueva Helvecia, Colonia de Sacramento, Piriapolis, Fray Bentos, Grenze nach Argentinien

Die Langsamkeit der Behörden, der Hafenverwaltung und des Zolls. Hier ticken die Uhren definitiv langsamer. Gäbe es einen Preis für die gemächlichste Hauptstadt, Montevideo hätte ein Anrecht auf einen Spitzenplatz. Wir sind noch nicht im Entspannungsmodus. Vielleicht ein Fehler, denn wer kann schon so einfach über das eigene Ich springen. Langsam möchten wir nichts anderes als unseren Suri in Empfang nehmen, doch hier, erst einmal in den Mühlen des Staatsapparates gefangen, hat die Zeit ihren eigenen Takt. Die Uruguayos scheinen ein Talent zu haben, um das Grundtempo des Lebens zu drosseln. Erst ist Wochenende, dann spielt Uruguay um den Einzug in den Achtelfinal, alles Gründe um gemütlich am Mate Tee zu schlürfen, ohne Hast und Eile.

Huhuiiiiiii…..wir haben ihn wieder smile

Endlich nach Tagen des Wartens, kommt das erlösende WhatsApp  unseres Agenten Eduardo. „Wir treffen uns heute Nachmittag zwecks Auslösung des Fahrzeugs in meinem Büro“.

Wir sind wo was von erleichtert. Nun kanns los gehen. Pünktlich zu vereinbarten Termin sind wir zusammen mit zwei französischen und einem deutschen Paar in der Agentur von Eduardo Kessler.  Im Gänsemarsch laufen wir mit den benötigten Papieren zu Fuss zum nahen Hafen. Dieser ist der wichtigste Handelshafen Uruguays und liegt an den Ausläufern des Rio de la Plata.

Von hier geht’s weiter durch den Zoll um das Fahrzeug frei zu geben. „Endlich, ich sehe unseren Suri“. Zusammen mit anderen Campern steht er mitten auf dem Hafengelände. Eduardo meint: „Geht jetzt alle mit einem Hafenmitarbeiter zu euren Fahrzeugen und begutachtet es genau von außen und innen. Heute Morgen holte ein Italiener ebenfalls seinen Mercedes Sprinter ab, dessen Fahrzeug wie die euren auf der Grande Amburgo unterwegs war und in dieses wurde leider eingebrochen. Gewaltsam haben Unbekannte mit schwerem Gerät die Türe aufgebrochen und diverse Sachen gestohlen.“

Wir alle wurden bleich. Sind unsere Fenster noch ganz? Sind die Dachluken noch intakt? Wurden die Solarpanelen beschädigt? Außen auf jeden Fall hat unser Suri keine Anzeichen eines Einbruches. Mit gemischten Gefühlen öffne ich die Tür zur Kabine und werfe einen zögerlichen Blick in das Innere. Entwarnung! Alles ist an seinem Platz und nirgendwo gibt es Scherben eines Einbruchs. Nochmals Glück gehabt. Sicherlich mehr Glück als der Italiener heute Morgen. Es hätte jeden von uns treffen können.

 

Am nächsten Morgen fahren wir raus aus der Stadt durch saftiges, grünes Hinterland. Die braun-schwarzen Punkte, die sich gemächlich durch die Landschaft bewegen, sind das Kapital des Landes. Auf jeden der vier Millionen Uruguayer kommen drei Rinder , die Vierbeiner sind klar in der Überzahl.  Es war vor allem der südamerikanische Rinder-Boom, der dem Land schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert einen Platz weit oben auf der Liste der Top-Auswanderungsländer verschaffte. Einer dieser Auswanderer ist unser heutiges Ziel. Rolf betreibt schon in zweiter Generation das „Hotel Suizo“ in Nueva Helvecia. Durch seine Hilfe können wir das Gasproblem lösen. In seinem Schuppen stehen ein paar alte, verstaubte Gas Flaschen, von abgereisten Gästen. Es braucht ein paar Änderungen im Innenraum und schon ist die US amerikanische Flasche montiert. Rolf erklärt uns noch den Weg in die Innenstadt von Nueva Helvecia für unseren Einkauf. „Nehmt zuerst die German Imhof Strasse, biegt bei der Lucerna ab und schon seit ihr auf der Frau Vogel Strasse!“ Der Deutsch / Schweizerische Ursprung ist kaum zu überhören.

Colonia del Sacramento

Man nehme ein paar verwinkelte Strassen, eine coloniale Vergangenheit, schöne Häuschen, gepflegte Oldtimer und platziert das Ganze an einem tollen Ort am Rio de la Plata, schräg gegenüber von Buenos Aires und fertig ist eines der grossartigsten Orte des Landes, Colonia del Sacramento. Die ehemals portugiesische Kleinstadt am Fluss ist völlig entspannt, mit vielen Cafés, Restaurants und trendigen Einkaufsläden.

Hier haben wir eine Verabredung mit dem aus der Schweiz ausgewanderten Heinz Zahn. Wir bringen ihm ein paar Bücher aus der Heimat mit, dafür werden wir mit einem Lomo de Vaca verwöhnt, das einem auf der Zunge vergeht.
Heinz betreibt mit seinem Partner die Posada Casa Matamora, nur wenige Meter vom Rio de la Plata entfernt. Das überaus grosszügig angelegte strahlend weisse Haus ist ein Ort der Ruhe, des Geniessens und der Aussicht. Wir hören stundenlang den tropischen Vögeln zu und beobachten das Stinktier, das auf Besuch kommt. Unser Suri hat seine Bleibe auf dem Parkplatz gefunden, während die Gäste der Posada auf der Terrasse die Ruhe geniessen.

Die Schweizer Auswanderer

„Ich habe euch angemeldet, ihr müsst unbedingt meine Nachbarn noch besuchen“, sagt uns Heinz beim Abschied. Die Rede ist von Ruedi und Susanne Althaus aus Schüpbach, die im Jahre 2018 in der Sendung „Auf und davon“ vom Schweizer Fernsehen begleitet und dokumentiert wurden.

Wir stehen noch auf der Strasse vor ihrer eigenhändig aufgebauten Posada, da winkt uns Ruedi schon aus dem Haus wir sollen doch reinfahren.

Kurz darauf sitzen wir bei ihnen am Tisch und sie erzählen uns von ihrem Traum des Auswanderns. „Es war nicht einfach“ sagt Susanne, „doch das war uns von Anfang an bewusst. Die grössten Schwierigkeiten bereiteten uns die ganzen Grenzschliessungen infolge Corona. Doch in der Zwischenzeit haben wir für unser Bungalow, die andern 4 sind noch im Bau, eine gute Auslastung. Zusätzlich musste mein Mann eine andere Einnahmequelle finden was dazu führte, dass er zur Zeit im Bausektor tätig ist.“ Nach ein paar Stunden und einer Schweizer Schokolade die den Besitzer gewechselt hat, verabschieden wir uns vom abenteuerlustigen Emmentaler Paar. (siehe Foto unten)

Paraiso Suizo

„So schön euch zu sehen“ werden wir herzlich von Silvia und Heinz begrüsst. Die Rede ist vom Schweizer Paar, das vor über 25 Jahren die Heimat verlassen hat, um in Südamerika eine neue Bleibe aufzubauen. Vor 10 Jahren, auf unserer ersten Panamericana Tour, haben wir die Beiden kennengelernt und jetzt gibt es natürlich viel zu erzählen. Das „Paraiso Suizo“, das Schweizer Paradies, ist bekannt für das Abstellen von Fahrzeugen jeglicher Art. Während der Winter Saison stehen hier bis zu 50 Fahrzeuge, während die Besitzer in den Heimatländern verweilen. Jetzt, zu Beginn der Saison sind schon viele abgereist und befinden sich irgendwo auf Tour. Ein paar Reisende sind wie wir,  ebenfalls mit dem Frachtschiff angekommen. Sie nützen die schöne Anlage um ihre Fahrzeuge auf Vordermann zu bringen. Am Abend sitzen wir dann gemütlich bei einem Assado, einem südamerikanischem Grillfest zusammen und plaudern bis spät in die Nacht über das aktuelle Sport Geschehen, über unsere jeweiligen Fahrzeuge, Routen und Ziele. Eine schöne Zeit und die grossartige Anlage ist allen bestens zu empfehlen. 

Die Fleischfabrik

Unsere letzte Station in Uruguay ist das „Museo de la Revolution Industrial“, das seit 2015 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Diese ehemalige Fleischfabrik ist einfach gewaltig. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts waren hier 4000 Arbeiter beschäftigt welche bis zu 2000 Rinder pro Tag schlachteten. Man muss sich dies einmal vorstellen und aus 30 kg Rindfleisch gab es nur 1 kg Fleischextrakt zu gewinnen. Gemächlich schlendern wir durch das Museum, die ehemaligen Wohnhäuser, das Schulhaus und lassen alles auf uns einwirken, soweit es die Temperaturen zulassen.

Wir befinden uns gegenwärtig in einer Hitzewelle, von bis zu 40 Grad im Schatten. So ist es nicht verwunderlich, dass wir so bald als möglich nach Argentinien  und von da Richtung Anden fahren möchten.

Wie wir Patagonien, das Land der Gauchos und des Tangos erleben, dann im nächsten Bericht.

Nun wünschen wir euch allen schöne vor Weihnachtstage und wenn es ein wenig  kühl im winterlichen Europa ist, 40 Grad im Schatten ist auch nicht lustig.

In dem Sinne alles Gute und „hasta luego“

Ruth und Walter