Las Lenias

Langsam zieht der Herbst auch in Südamerika in die Hochtäler. Man sieht’s an den wenigen Blättern, die sich noch an den Ästen festklammern und schlaff herunterhängen.

In der Zwischenzeit sind wir in Las Lenias angekommen, dem bekanntesten Skiort in den argentinischen Bergen, da wo früher unsere Schweizer-Nationalmannschaft ihr Sommer Trainingslager absolvierte. Wir haben uns einen modernen Ski-Ort vorgestellt mit Sport-Boutiquen, In-Restaurants und jede Menge Geschäfte. Doch was wir vorfinden ähnelt mehr einer Geisterstadt als einem renommierten Skiort der Extraklasse. Natürlich, wir haben Sommer und die Post geht im Winter ab, doch man könnte erwarten, das sich Las Lenias auch etwas um Sommertouristen bemühen würde, denn die umliegenden Berge sind ein Eldorado für Mountainbiker, oder Wanderfreaks.

Fakt ist, ein Skiort wie Las Lenias hätte in der Schweiz oder Österreich keine Chance auf etwaige Touristen, obwohl die 33 Pisten in Höhen bis 3400 Meter bei trockenem Pulverschnee ein Genuss sein müssen.

Das „Valle Hermoso“

Nach 25 km übelster Schotterpiste und Flussdurchquerungen erreichen wir das „Valle Hermoso“, das herrliche Tal.

Es ist nicht übertrieben, wenn man von einem kleinen Paradies spricht. Eingebettet liegt dieses Hochtal auf 2200 Meter zwischen hohen Andengipfeln, Flüsse mäandern durch das Tal, wilde Pferde grasen friedlich auf den kargen Weiden und Falken kreisen unaufhörlich ihre Runden um ein Beutetier zu erspähen.

Hier gibt es keine Strommasten, kein Internet, keine Verpflegung, man ist vollkommen auf sich selbst gestellt.

Wir stellen uns neben ein Flüsschen, dessen glasklares Wasser rauschend und schäumend in Kaskaden direkt neben unserem Lagerplatz über die glatt-polierten Steine fliesst, immer in Richtung seines grossen Bruders, dem Rio Tordillo entgegen. Der Himmel ist dunkelblau und hebt sich krass von den mit einem Sahnehäubchen gezuckerten Bergen ab. Es ist wirklich ein herrliches Tal, das seinen Namen mehr als verdient.

Die Tage vergehen mit ausgedehnten Wanderungen, wo wir fast keiner Menschenseele begegnen und anschliessend waschen wir unsere verschwitzten Körper im kristallklaren Bergbach.

Doch das schönste kommt erst, wenn sich die Sonne hinter die Gipfel verzieht und die Dämmerung Einzug hält. Dann zeigt sich der ganze Sternenhimmel, das ganze Universum von seiner makellosen Seite. Die Sterne glitzern am abendlichen Firmament und wir fragen uns, gibt es da oben ebenfalls ein Leben, ein zweite Erde mit wahrscheinlich ganz andern Lebewesen?

Auf diese und auf andere Fragen wird unsere Generation wohl nie eine Antwort erhalten.

4 Tage später verlassen wir dieses kleine Idyll und fahren erneut auf unserer schon bekannten, miserabler Schotterpiste zurück nach Las Lenias und von da zur Strasse 40 die uns nach Malargüe bringt.

 

Im Land der schlafenden Vulkane

Es ist nicht mehr so einfach, in Argentinien einen Nationalpark zu besuchen. Zuerst muss man den angepeilten Park im Internet buchen, mit Datum, sowie dem genauen Zeitfenster des Besuchs und anschliessend bekommt man ein Mail mit dem zu bezahlenden Betrag mit Strichcode. Mit diesem Fackel begibt man sich zur „Pago facil“, zu vergleichen mit einer Poststelle in der Schweiz, nur dass die Öffnungszeiten sehr bescheiden sind und sich meistens eine grosse Menschenschlange davor befindet. Ist man endlich an der Reihe, zahlt man den gewünschten Betrag und bekommt die Quittung, die man an die Reservation heftet. Was für ein Aufwand, wenn man bedenkt, dass man noch vor einem Jahr einfach zum Nationalpark fuhr und beim Eingang bezahlen konnte. Ich will jetzt nicht nostalgisch werden, aber das Sprichwort mit den guten alten Zeiten, da ist einfach was wahres dran.

Nun fahren wir also mit der bezahlten Reservation zum Park „Laguna Llancanelo“, einem Naturreservat südöstlich von Malargüe, in der Provinz Mendoza, wo es laut Reiseführer etliche Flamingos und andere Vögel zu sehen gibt. Nur was der Reiseführer nicht weiss, die Lagune führt seit einigen Jahren kaum Wasser, sodass sich die Tiere immer weiter zurückgezogen haben und wir sie vom Ufer fast nicht mehr sehen. Die Reservation hätten wir uns auch sparen können, denn am Eingang des Parks befindet sich nur ein verfallenes Ranger Office, welches seit Jahren schon unbewohnt scheint. Und wir stehen davor mit der Reservation und der genauen Uhrzeit!

Wir hoffen einfach, dass der nächste Park, der „La Payunia“ etwas lohnender ist. Das Naturreservat wirkt auf den ersten Blick karg und lebensfeindlich, etwas wie in einer anderen Welt. Es gibt nur wenig Vegetation, ein paar Büschelgräser und Flechten. Wir fahren durch eine schwarze Wüste, welche eine der vulkanreichsten Gegenden der Erde ist. Auf 4500 Quadratkilometern ragen runde 800 Vulkankegel in den azurblauen Himmel.

Der Zustand der Piste ändert sich immer wieder. Manchmal ist sie gut zu befahren, doch kurz danach gibt es sehr raue Abschnitte, die ein Vorwärtskommen zur Tortur macht. Alles rattert und vibriert, als scheint der Suri auseinanderzubrechen. Da gibt es nichts anderes, als mit Schritttempo zu fahren.

Wir suchen uns ein nettes Übernachtungsplätzchen an einem Hügel, nicht unweit einer längst verlassenen Lodge. Die Aussicht ist atemberaubend und einmal mehr wird uns kleinen Menschen die immense Ausdehnung dieses Gebietes schluckend bewusst.

 

Die Wüste lebt

Auf den ersten Blick scheint die endlose Einöde karg und menschenfeindlich, doch schaut man genauer hin, entdeckt man eine Vielzahl von tierischem Leben.

Guanakos beobachten uns misstrauisch, während die Jungtiere verspielt über den staubig, dürren Boden galoppieren und eine Staubfahne hinter sich her ziehen.

Ein Gürteltier lässt sich bei seiner Mahlzeit nicht von uns stören. Genüsslich verzerrt es geräuschvoll eine Wüstenmaus.

Und zu guter Letzt besucht uns eine hübsche Katze und lässt sich von uns mit Streicheleinheiten und ein wenig Futter verwöhnen. Sie ist wahrscheinlich von der verlassenen Lodge zu uns hinüber gelaufen.

Panne in der Wüste

Auch am nächsten Tag sehen wir ausser einer endlosen Weite keine Menschenseele. Erst haben wir noch zueinander gesagt: „Jetzt nur keine Panne“ und kurz darauf bemerken wir den platten Reifen. Wo ist hier die nächste Garage? Wir haben die Wahl, 150 km Wellblechpiste nach Norden oder 200 Wellblechpiste in den Süden. Mit Mühe und vereinten Kräften von meiner Mitfahrerin, wuchten wir das Reserverad hinunter und lösen mit letzter Kraft die stocksteifen Radmuttern.

Wechseln das Rad und nach einer knappe Stunde sind wir wiederum fahrtüchtig und die Tour geht weiter.

Eine Schraube war übrigens der Übeltäter. 

Ein Wasserfall der besonderen Art

Südöstlich von Chos Malal erreichen wir nach einer grandiosen Fahrt durch eine unberührte Natur den sagenhaften „Salto del Agrio“, einen Wasserfall mit einem unglaublichen Farbspektrum. Wir übernachten sogleich auf dem ausgeschilderten Parkplatz, um bei den ersten Sonnenstrahlen am nächsten Tag die Katarakte zu fotografieren. Wir als Schweizer sind ein wenig verwöhnt was Wasserfälle betrifft aber dieser ist in Sachen Farben eine Sensation. Seine unglaubliche Schattierungen ist auf die besondere Zusammensetzung der Mineralien in seinem Wasser zurückzuführen. Ausserdem stürzt das Wasser in eine Basaltschlucht und bildet unten ein grosses natürliches Becken. Auf einem ausgeschilderten Weg können wir den Salto del Agrio aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Dieser Wasserfall ist ein Muss für alle Argentinien Besucher.

Die übel riechende Termas von Copahue

Der kleine Ort oberhalb des Skiortes Caviahue, ist ein dampfendes Dorf auf einer Höhe von 2000 m mitten in den Anden. Hier gibt es verschiedene heisse Quellen mit unterschiedlichen natürlichen Mineralien. Unter den mannigfaltigen Angeboten entscheiden wir uns für eine Fangobehandlung mit anschliessendem Bad. Da wir nicht mehr die Knusprigsten sind, haben wir die berechtigte Hoffnung, dass wir anschliessend etwas jünger aussehen, ohne Falten mit gestraffter Haut. Doch ich kann es vorweg nehmen, genützt hat es leider wenig bis gar nichts.

Das wussten wir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht und so buchen wir das Thermalbad mit Fangopackung. Wir machen es unseren Vorgängern gleich und schmieren uns aus einem Kübel gegenseitig mit Schlick, dieser stinkenden und warmen Brühe ein. Anschliessend begeben wir uns in die hüfthohe, graue Suppe. Es blubbert und dampft, stinkt nach verfaulten Eiern und man spürt deutlich die heissen Gase wie sie aus dem Boden zischen. Rund um uns haben alle graue Gesichter und mit so einem Graugesicht kommen wir ins Gespräch: „Dieses Thermalbad ist das beste der Welt“, meint er inbrünstig, „eine Kollegin von mir konnte nicht mehr laufen und sie musste mit dem Rollstuhl hierher gebracht werden. Nach 10 Tagen intensiver Behandlung mit Massage und Bad konnte sie anschliessend wieder ohne Stöcke gehen. Seither kommt sie, ich und meine Frau jedes Jahr für eine Woche hierher. Danach fühlen wir uns wie neu geboren.“

Auch wir fühlen uns wie neu geboren aber für einen Jungbrunnen müssten wir wahrscheinlich noch ein paar Wochen anhängen.

Der Lago Aluminé

Von Las Lajas führt die Routa 13 durch schmale Sandstrassen bis zum kleinen Bergdörfchen Villa Pehuénia am Nordufer des Lago Alumine. Dieser Ort befindet sich nur 300 km von Neuquén und 10 km von der Grenze zu Chile entfernt. Er liegt eingebettet in Wälder, Berge und glasklaren Bergseen. Die kleinen Hotelanlagen und Campingplätze liegen weit verstreut in hügeliger und bewaldeter Umgebung. Im kleinen Zentrum gibt es ein paar Restaurants und Geschäfte, doch jetzt in der Nachsaison herrscht ein himmlischer Frieden.

Ganz anders in der Hochsaison! Im Winter kommt man vor allem zum Skifahren oder Schlitteln hierher und im Sommer zum baden, angeln oder für eine Rafting-Tour.

Wir suchen uns einen hübschen Campingplatz mitten in einem Jahrtausend alten Auracarienwald.

Die Sicht direkt auf den 10 Grad kalten Lago Moquehue ist bezaubernd.

Am Kraterrand

Heute ist wandern angesagt!

Nicht weit ausserhalb von Villa Pehuenia befindet sich der fast 2000 m hohe Vulkan Batea Mahuida, der dicht an der Grenze zu Chile liegt. Zur Zeit ist er inaktiv und im Winter sind seine Hänge ein beliebtes, kleines Skigebiet. Wir fahren entlang von einigen Schleppliften bis zur Lagune, schnallen unsere Wanderschuhe an und gelangen über ein Geröllfeld bis auf die Spitze des Kraters. Wir befinden uns auf einer Art Hochplateau und haben ein tolles Panorama auf die argentinischen und chilenischen Vulkankegel, die fast zum greifen nahe sind.

Auf einer bezaubernden Rundtour

Statt auf der normalen Strecke nach Aluminé befahren wir die abenteuerliche Circuito Pehuénia. Eine Rundtour, vorbei an malerischen Seen wie der Moquehue, der Lago Norquinco, der Pulmari, die Laguna de los Giles und immer am Rio Pulmari entlang. Am Pistenrand sieht man Wälder aus Buchen, Zypressen und Auracarien.

Irgendwo zwischen dichten Flechten, feuchten Moosen, Flechten und dichtem Bambus biegen wir ab in den dichten Busch, einem kleinen Bachlauf folgend. Da sind wir bestimmt alleine. Falsch gedacht! Am Ende der Strecke steht bereits ein kleiner PW und der Besitzer kommt mit erhobenen Armen auf uns zugelaufen. „Euch schickt der Himmel“, ruft er uns von Weitem zu, „wir sind im Sand stecken geblieben und ich versuche schon seit langem, das Auto wieder flott zu machen, doch ohne Erfolg. Könnt ihr uns vielleicht raus-ziehen?“

Es handelt sich da um eine junge Familie aus Buenos Aires, Liucia und Rodrigo und ihr 4 Wochen altes Baby, die sich am nahe gelegenen Lago Moquehue für eine Woche ein Bungalow gemietet haben. Sie sind beide Ärzte in der argentinischen Hauptstadt und machen hier Ferien.

Ich hole mein Abschleppseil aus dem Suri, hänge ihren PW daran und ein kurzer Ruck später steht ihr Auto erneut auf festem Grund. Die Freude ist gross und sollten wir einmal in Argentinien ein medizinisches Problem haben, sollen wir uns bei ihnen melden. Winkend verabschieden wir uns von ihnen und sind erneut ganz alleine mitten im Busch.

Im Parque Nacional Lanin

Ein weiterer Traum von Bergsee ist der südlich von Aluminé gelegene Lago Quillen. Von der Abzweigung zum See liegen erneut 35 km Schotterpiste vor uns. Das sollte doch locker in einer halben Stunde erledigt sein, doch da haben wir zu europäisch gedacht. Sogleich geht der gute Asphalt in eine Staubpiste über, willkommen im echten Patagonien. Mit durchschnittlich 20 km/h manövrieren wir unser Suri um Schlag- und Wasserlöcher. Hin und wieder überholt uns ein PS starker Pick-Up und hüllt uns in eine dichte Staubwolke. Zumindest haben wir langsam Fahrenden mehr Zeit den Ausblick zu geniessen und was sich da auftut lässt einem den Atem stocken. Immer enger wird das Tal, immer näher rücken die Felsen und mit ihnen der rauschende Fluss. Im letzten Sonnenlicht des Tages strahlen die farbigen Gipfel des nahen Gebirges rot-weiss auf uns herab. Plötzlich wird das Tal breiter und der langgestreckte Lago Quillen liegt vor uns.

Wir befinden uns im Nationalpark Lanin und fahren zum kleinen Camping am See. Die Saison ist bereits vorbei, sodass wir den ganzen Platz für uns alleine haben. Wir sind begeistert von diesem Bergidyll am kristallklaren See. In der Ferne ist deutlich der schneebedeckte Vulkan Lanin zu sehen.

Man ist einfach nur da, zusammen mit den Bäumen, den Vögeln, dem See, dem Himmel und der unedlichen Freiheit. Da draussen zu sein, das tut der Seele einfach gut. 

Wäre am nächsten Tag nicht ein Gewitter herangezogen, wir würden immer noch da stehen.

In der Touristenhochburg

Über Junin de los Andes fahren wir weiter zur Touristenhochburg San Martin de los Andes. Es ist eine Stadt mit österreichischer Architektur, vielen kleine Läden, sowie einer Unmenge an Restaurants. Der schöne Strand am Ende der Strasse mit Blick auf die Berge lädt zum Verweilen und Schwimmen ein.

Hier treffen wir uns mit Maria und Walter aus der Schweiz, die mitten in der Stadt San Martin eine Wohnung haben. Eigentlich haben wir uns schon letztes Jahr zweimal getroffen und dieses Jahr ganz im Norden von Argentinien in Tucuman.

Bei einem gemeinsamen Nachtessen mit einer tüchtigen Portion Fleisch wird der Abend immer länger.

Übrigens, die Argentinier und ihr Fleisch! Es ist ein Klischee, dass Argentinier Fleisch-verrückt sind und locker ein Kilo Rindersteak verdrücken können. Ein Klischee, aus dem die Wahrheit spricht.

Der Ruf der Freiheit

Die letzten Wochen sind wir mehrheitlichen der berühmten Ruta 40 gefolgt. Ein Roadtrip entlang von blaue Seen, urigen Wälder und glasklaren Flüssen. Bewusst haben wir die Einsamkeit gesucht und dabei die Freiheit des Reisens genossen.

 

Nun wünschen wir euch allen ein paar schöne Ostertage und ein wunderschönes Frühlingserwachen.

 

Eure Reisenomaden

 

Ruth und Walter