Chile – Chico

Wir fahren über die argentinische Grenze und erreichen erneut chilenisches Staatsgebiet. Eine Zwiebel übergeben wir der Zöllnerin aber das restliche Gemüse und den Käse verstecken wir in unserem Geheimfach. Ein bisschen Schummeln muss sein.

In Chile Chico möchten wir alte Bekannte besuchen, doch leider sind sie die ganze Woche noch abwesend. In der Zwischenzeit schaut Emilio auf ihre kleine Gemüse- und Früchtefarm auf der wir vor 12 Jahren ein paar Tage gearbeitet haben. Schade, eigentlich wollten wir Anne und Oscar mit ihren beiden Kindern mit einem Spontan-Besuch überraschen. Wenigstens sind die Aprikosen und die Pflaumen immer noch so saftig wie zu früheren Zeiten.

Am Lago General Carrera

Wir übernachten direkt am kristallklaren, türkisblauen Lago General Carrera. Durch den starken Wind spritzt das Wasser über die Kiesel und schäumt wie die Milch auf dem Cappuccino.

Hier werden Annes feine Aprikosen zu Konfitüre verarbeitet und schon bald haben wir im Suri Sauna Temperaturen. Eine Abkühlung bringt der Sprung ins eisig kalte Wasser des General Carrera.

 

Die Fahrt entlang des menschenleeren Sees ist einfach grossartig. Schaumkronen zieren die Wellenkämme, kleine Inseln schimmern, eingebettet zwischen Felsen und am Horizont leuchten die schneebedeckten Gipfel der namenlosen Berge.

Eine Landzunge springt mir von weitem in die Augen und ich nehme die nächste Schotterstrasse und biege rechts ab. Nach 10 weiteren km kommt ein kleines Gehöft und ich frage den alten Farmer, ob es wohl möglich sei, dass wir auf seiner Halbinsel übernachten können. „Kein Problem“, meint er, „fahrt einfach weiter bis zum Strand. Stellt euch irgendwohin und ihr könnt bleiben so lange ihr wollt. Lasst euch einfach nicht stören von den wilden Pferden und den Schafen.“ Kurz darauf wechselt eine Flasche Rotwein den Besitzer und wir fahren zu unserem einsamen Übernachtungsplatz mitten in der wilden Natur mit einer grandiosen Aussicht auf den See. Am Abend gibt es selbst-gefangenen Lachs aus dem Lago General Carrera. Das Leben könnte nicht schöner sein.

 

Zwei Tage später nehmen wir erneut die Fahrt auf und es geht weiter am Ufer des Sees entlang. 100 km Schotterstrasse, eine Staubfahne hinter uns herziehend, tuckern wir durch eine unwirkliche Gegend voller Gegensätze. Mal fahren wir durch eine in den Fels gesprengte, einspurige Piste voller Schlaglöcher und kurz darauf durch offenes Grasland mit weidenden Pferden. Was bleibt, der immerwährende Blick auf den Schaumkronen besetzten See. Im Hintergrund erspähen wir die weiss gesprenkelten Zacken des hoch aufragenden Cerro Castillo, der wie ein Obelix die Landschaft prägt.

 

Bei der kleinen Ortschaft Puerto Bertrand biegen wir links ab, denn als äusserstes Ziel der Carretera Austral haben wir uns Cochrane gesetzt. Hier, aus dem Lago Bertrand, der wiederum gespiesen wird vom riesigen, nördlichen Eisfeld, entspringt der türkisblauen Rio Baker. Dass ein ehemaliger Baker Men im Rio Baker fischen muss, liegt fast auf der Hand. So übernachten wir direkt am Rio Baker und was gibt es wohl zum Abendessen……., genau, einen Riesen Lachs aus dem Baker.

 

Retter in der Not

Auf unserer Fahrt in den Süden steht hinter einer Kurve plötzlich ein Auto vor uns. Die rechte Seite liegt schräg auf der metallenen Leitplanke, der Aussenspiegel ist abgerissen und das hintere Rad schwebt über einem Abfluss-Loch in der Luft. Der Fahrer hat etwas zu arg die Kurve geschnitten und jetzt sind sie richtig mit der Leitplanke verkeilt. Sie kommen weder vor noch zurück. Wir halten bei der 5-köpfigen Reisegruppe an und fragen, ob wir helfen können. „Euch schickt der Himmel“, meint einer der Chilenos, der ein wenig Englisch spricht. „Habt ihr vielleicht einen Abschleppgurt um uns raus zuziehen?“ Haben wir! Ich befestige den Abschleppgurt am Suri sowie am festsitzenden Auto, lege die Untersetzung und den Allrad ein und fahre vorsichtig, die ganze Kraft unseres Suri einsetzend, zaghaft, Millimeter um Millimeter vorwärts. Das chilenische Fahrzeug schrammt noch ein wenig der Leitplanke entlang, ist aber kurt darauf erneut mit allen 4 Rädern auf der Piste.

Die Freude der Chilenen ist riesengross und sie bedanken sich überschwänglich. Es werden noch Selfies geschossen, Hände gedrückt und kurt darauf fährt jeder wieder seines Weges.

 

 

Die Marmorhöhlen, eines der Naturwunder im Lago General Carrera

Die Marmorhöhlen in der Region Aysén im Süden Chiles gehören sicherlich zu einem der aussergewöhnlichsten Naturwunder dieser Erde. Sie befinden sich am Lago General Carrera, einem See, der an die südamerikanischen Länder Chile und Argentinien grenzt und dreimal so gross ist wie der Bodensee. So ist es nicht verwunderlich, dass auch wir das kleine Touristenstädtchen Puerto Rio Tranquilo ansteuern. Tranquilo bedeutet auf spanisch ruhig und genau so wirkt der Ort auf uns. Es ist ein entspanntes Örtchen mit ein paar Restaurants, staubigen Strassen und Touristen-Unterkünften. Wir parken auf dem steinigen Parkplatz, wo der ungezähmte Lago General Carrera seine grimmigen Wellen ans Ufer wirft.

„Machen Sie heute noch eine Tour zu den Marmorhöhlen?“ frage ich einen Touranbieter, dessen windschiefes Office direkt bei der Anlegestelle beheimatet ist.

„Viel zu gefährlich“, meint der Junge Mann lächelnd, „ der Wind ist zu stark, die Wellen zu hoch, das Boot könnte kentern“.

Ja wenn es so ist, dann buchen wir vorsorglich zwei Plätze für den morgigen Tag.

Im Dorf wollen wir nicht bleiben, denn inzwischen hat der Rummel mit Touristenbussen erheblich zugenommen. Wir ziehen uns lieber an den ruhigen Lago Tranquilo zurück und hoffen bei einem Gläschen chilenischem Weisswein auf schwächeren Wind und besseres Wetter, denn in der Zwischenzeit hat zusätzlich noch ein kalter Nieselregen eingesetzt.

Am nächsten Tag regnet es noch immer aber trotzdem fahren wir um 07:30 Uhr zum Strand und erkundigen uns nach dem Stand der Dinge. „Leider hat es immer noch zu viel Wind“, meint der gleiche Junge von gestern, „kommt doch in einer Stunde nochmal vorbei.

Eigentlich glauben wir nicht mehr an eine erfolgreiche Bootstour aber erstmals machen wir Frühstück im Suri und beobachten die vielen Touristen, wie sie frierend und unschlüssig auf und ab tigern.

Kurz vor 9:00 Uhr geht alles sehr schnell. Es wird uns signalisiert, dass die Tour durchgeführt wird. Unser offenes Boot mit Aussenborder fasst 20 Personen, einen Bootsführer sowie den Englischsprechenden Guide. Alle fassen eine Schwimmweste, sowie einen Regen Poncho und nun kann’s los gehen, obwohl die Wetterlage immer noch alles andere als optimal ist. Wenigstens hat es aufgehört zu regnen, doch das Boot klatscht nach jeder Welle hart ins Wellental, der eisige Wind sprüht uns die Gischt ins Gesicht, während der Kapitän seelenruhig gegen die hohen Wellen ankämpft. Bei den Marmorhöhlen angelangt, kommt plötzlich die Sonne zum Vorschein und da wir im Windschatten von zwei kleinen Inseln sind, ist es erstaunlich ruhig geworden.

Die Wände der Höhlen, die von weissem Marmor durchzogen sind und schier surreale Formen und Farben annehmen, bieten uns allen ein atemberaubendes Bild. Wir gleiten mit dem Boot in eine der schmalen Höhlen, ziehen die Köpfe ein und können den blank geschliffenen Marmor berühren.

Es ist ein Meisterwerk von Mutter Natur, was im Verlaufe der letzten sechs Jahrtausenden entstanden ist. Alle sind begeistert und die Fotoauslöser der Handys laufen auf Hochtouren.

Der Höhepunkt ist gewiss die Marmorkathedrale sowie die etwas kleinere Marmorkapelle. Marmorsäulen und die darunter verborgenen Höhlen tragen diese wunderbaren Gesteins-Inseln. Das türkisblaue, kristallklare Seewasser umschmeichelt sanft diese einzigartigen Insel-Burgen und wir alle sind einfach nur fasziniert von dieser aussergewöhnlichen Naturschönheit, die uns Einblick in eine komplett andere Welt ermöglicht.

Auf der Carretera

In Coyhaique, der grössten Ortschaft auf der Carretera Austral, füllen wir unsere Vorräte auf, waschen Bettwäsche und sonstige Kleider, bevor es zur Küstensiedlung Puerto Aysen geht. Der gleichnamige Fluss ist bekannt für seinen Lachs-Reichtum und so ist es nicht verwunderlich, dass auch ich einen dieser schmackhaften Fische fange. „Nicht schon wieder Lachs zum Znacht“, meint Ruth. Wer kann ihr das verübeln!

 Da wir nicht auf einen lauten Camping wollen sind die wilden Übernachtungsmöglichkeiten in diesem Ort beschränkt. So frage ich etwas Ausserhalb des Ortes ein junges, chilenisches Paar, ob sie einen Tipp hätten, wo wir unser Fahrzeug für eine Nacht abstellen können.

„Fahrt mir einfach nach,“meint die nette Frau, „ihr könnt auf unserem Grundstück stehen.“ Ihr Pick-Up fährt voraus und der Suri hinterher. Bei einer Schotterstrasse biegen sie ab und über eine Schlaglöcher übersäten Piste geht’s den Weg hoch.

„Hier könnt ihr stehen,“ meint sie und zeigt auf einen kleine Vorplatz mitten im Wald. „Nächstens werden wir hier mit dem Hausbau beginnen. Macht es euch bequem, ihr könnt so lange hier stehen wie ihr wollt.“

Wieder einmal sind wir fasziniert von der Gastfreundschaft der Chilenen.

Manchmal ist das Paradies nur schwer zu finden.

Nach vergangenem Traumwetter mit fast wolkenlosem Himmel ist nun alles Grau in Grau. Es regnet ununterbrochen, die zackigen, schneebedeckten Spitzen des Cerro Castillo lassen sich nur schwer erahnen. Der Rio Ibanez und der Rio Murta führen Hochwasser. Das sonst so klare Bergwasser hat sich in eine brodelnde, dampfende Brühe verwandelt. Wasserfälle, normalerweise kleine Bäche, stürzen von den grünen Hängen. Sämtliche Wanderwege im Queulat National Park sind infolge des Sturmtiefs geschlossen. Somit müssen wir schweren Herzens auf die tolle Wanderung zum Ventisquero Colgante, zum hängenden Gletscher, verzichten. Weltuntergangsstimmung!

Nach 3 Tagen klart es langsam auf. Sonnenstrahlen dringen durch die Wolkendecke und am Strassenrand sind die Überreste der rosa- und fliederfarbenen, wilden Lupinen zu entdecken. Die letzten Regentropfen fallen von den Nalcas, das sind sattgrüne Mammutblätter, sogenannte Riesenrhabarber, dessen Blattdurchmesser über 2 Meter erreichen können. Im südlichen Chile, vor allem nördlich von Puyuhuapi, wachsen diese imposanten, bis zu drei Meter hohen Pflanzen überall

am Strassenrand. Feuer-Sträucher und Fuchsien, die aussehen wie kleine Chinesen-Lämpchen, blühen leuchtend rot am Wegesrand.

Schneller als geplant sind wir in Chaiten angekommen, dessen gleichnamiger Vulkan am 2. Mai 2008, also vor 15 Jahren, zu neuem Leben erwachte. Damals hatte der Vulkanausbruch die Einwohner des 3000 Seelen Dorfes, das nur 10 km Luftlinie vom Gipfel entfernt liegt, völlig überrascht.

Eine gigantische Aschewolke stieg bis zu 20 km hoch auf, die in unmittelbarer Nähe des Vulkans eine mehrere Meter dicke Ascheschicht ablagerte. Die anschliessenden Schlammströme schütteten den Yachthafen komplett zu und fast alle Häuser wurden weggespült. Die restlichen verschwanden unter einer meterhohen Schicht aus Asche und Steinen. 

Noch immer sieht man einige der zerstörten Häuser in der Innenstadt, wie sie schief aus den ehemaligen Geröllmassen herausragen. Doch der Wiederaufbau ist in vollem Gange, mit dem Unterschied, dass die ehemalige Uferpromenade Chaiténs heute nicht mehr am Ufer des Pazifiks, sondern mehrere hundert Meter dahinter verläuft.

Unser Übernachtungsplatz ist etwas ausserhalb des Städtchens auf einem netten Campingplatz. Das besondere, direkt vom Stellplatz sehen wir den ganzen Abend vorbei schwimmende Delphine und Seelöwen. Sie spielen mit den Wellen, lassen sich auf den Wellenkämmen treiben und springen übermütig aus dem Wasser. Einfach faszinierend, wenn man dies aus dem Fenster des Suri heraus gemütlich betrachten kann.

 

Hoch auf den Vulkan Chaitén hinauf

Obwohl das Wetter nicht so richtig mitspielt, es ist stark bewölkt und für den Nachmittag ist Regen angesagt, wagen wir den 2,2 km langen Aufstieg zum Kraterrand des Vulkans. Dabei gilt es 600 Höhenmeter zu überwinden.

Die Infotafel am Wegesrand spricht von 3 1/2 Stunden hin und zurück. Dies scheint machbar zu sein, bis zum Punkt an dem man sich bewusst wird, wie viel 600 Höhenmeter auf 2,2 km eigentlich sind.

Was sich anfänglich noch als hübscher Wanderweg offenbart, der sich durch den immergrünen Regenwald des Pumalin National Park schlängelt, entwickelt sich mehr und mehr zu einem Klettersteig, zu einer glitschigen Treppenwanderung, dessen Stufen oft einen halben Meter auseinander liegen.

Auf dem letzten Drittel fehlen dann die Stufen und der Weg durch die Geröllmassen muss mehr erahnt werden, doch zum Glück gibt es im Sand ein paar Fussspuren unserer Vorgänger.

Und plötzlich stehst du oben auf dem Vulkan. Vor uns tut sich der Krater auf, kalt, steinig, ein unwirkliches Geröllfeld. Hier hat vor Jahren das ganze Unglück seinen Lauf genommen. Auf der anderen Seite der Caldera erheben sich zwei kahle Gebirgszüge aus denen fast überall der weisse Qualm dampft. Er ist aktiv, der Chaitén und wir mittendrin.

Da macht man sich doch ein paar Gedanken – was wenn er anfängt zu grollen, Lava zu speien?

Mit diesen Gedanken machen wir uns auf den Rückweg, die steile, ungesicherte Bergflanke hinunter. Auf halbem Weg fängt es an zu regnen und die vermosten Holzbohlen werden zu glitschigen Knochenbrecher-Fallen.

Doch irgendwann haben wir es geschafft und der Suri auf dem Parkplatz erwartet uns schon sehnlichst.

Wir fahren zurück auf unseren Lieblings-Stellplatz und schauen den restlichen Tag dem Treiben der Delphine und Seelöwen zu, wie sie ein paar Meter von uns entfernt ihren Spass haben.

Heute Abend nehmen wir die Fähre nach Hornopiren und damit heisst es Lebewohl zu sagen. Lebewohl zur Carretera Austral, einer der schönsten Fernstrassen der Welt. Lebewohl zu einer unberührten Wildnis, mächtigen Gletschern, glasklaren Seen, schroffen Vulkangipfeln und herzlichen Menschen.